Pfarrer Theodor Maas

Pfarrer Maas wurde am 7.3.1943 mit einem für Altenkirchen beispiellos großen Trauergeleit zu Grabe getragen. Die Trauerfeier fand in der überfüllten Kirche statt, in der Pfarrer Maas nach seinem Tode am 3. März 1943 aufgebahrt war. Während dieser Zeit waren die Kirchenportale mit Sechszöllern zugenagelt, die Trauerfeier wurde durch Einwerfen der Fenster gestört und der Trauerzug mit Steinen beworfen.

Was hatte das alles zu bedeuten? Wer war dieser Pfarrer Theodor Maas? Er wurde 1882 in Breslau geboren. Sein Vater trat vom jüdischen Glauben zum christlichen Glauben über und heiratete eine evang. Frau. Der Sohn Theodor studierte Evang. Theologie. Seine Pfarrtätigkeit begann er 1909 im Rheinland, zunächst in Hünxe, dann in Grevenbroich. Während dieser Zeit heiratete er Frau Babette, geb. Kolb aus Viersen. Sie hatten zwei Söhne: Theodor, geb.1912 und Hans, geb.1913.

1921 wählte die Evang. Kirchengemeinde Altenkirchen ihn zum Pfarrer für den Westbezirk der Stadt. Am Tage seiner Ankunft kamen viele Gemeindeglieder zum Bahnhof, darunter viel Jugend mit „großem Hallo“ - so erinnert sich eine Altenkirchnerin - um ihren neuen Pfarrer und seine Familie abzuholen und sie mit einem Pferdewagen zum Pfarrhaus in der Kirchstraße zu bringen. Die Pfarrfamilie gewann schnell die Herzen vieler Gemeindeglieder. Noch heute erinnern sich einige an die vielen Hausbesuche des Pfarrers in der Stadt und auf den Dörfern, die er alle zu Fuß erledigte, an Ausflüge mit dem „Jünglingsverein“, an Bibelstunden im CVjM, an die Sonntag Nachmittage, an denen Frau Maas ihren „Jungfrauenverein“ um sich sammelte, an die Frauenhilfe, die sie mit ihrer Musikalität bereicherte, an das gute Verhältnis zur Nachbarschaft und besonders an die Predigten von Pfarrer Maas, „aus denen man immer etwas mitnahm“.

Seine Söhne besuchten zunächst die Volksschule in Altenkirchen, dann das Gymnasium in Betzdorf. Der Sohn Theodor begann nach der Mittleren Reife eine Banklehre bei der Kreissparkasse Altenkirchen, der Sohn Hans machte das Abitur mit dem Wunsch, aktiver Offizier zu werden. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933, brach für die ganze Familie eine immer schwerer werdende Leidenszeit an. Zunächst traf es die Söhne. Der ältere Sohn Theodor mußte die Banklaufbahn abbrechen, Jahre der Unsicherheit, des „auf der Flucht seins“ begannen, bis er 1939 in einer kriegswichtigen Werft in Norddeutschland eine Anstellung fand (Nach dem Krieg heiratete er dort eine Holländerin, sein Sohn ist heute wieder Pfarrer in der Rheinischen Landeskirche.) Der jüngere Sohn Hans konnte aus rassischen Gründen seinen Berufswunsch nicht verwirklichen. Selbst sein daraufhin begonnenes Theologiestudium konnte er nicht zu Ende führen, da auch in der offiziellen Kirche der Arierparagraph angewandt wurde. Er hatte dann jedoch die Möglichkeit, Medizin zu studieren, da der Staat unbedingt Ärzte brauchte im Hinblick auf den schon geplanten Krieg. Er fiel dann auch im Einsatz als Truppenarzt 1944 in Rußland.

II.

Pfarrer Maas selbst hat früh das Wesen des Nationalsozialismus durchschaut und auch den Mut gehabt, öffentlich dagegen Stellung zu nehmen.

In einer Predigt Anfang März 1933 sagt er: „Wir freuen uns der nationalen Selbstbesinnung unseres Volkes. Aber schlimm ist es, wenn man die Gelegenheit dazu benutzt, um ein deutsches Christentum zurechtzumachen. Da wird Christus zum Ideal deutschen Wesens. Da muß er herhalten, um wirkliche oder vermeintliche Tugenden des deutschen Menschen darzustellen. Da wird alles das beseitigt, was mit diesen Wünschen nicht übereinstimmt, auch sein Kreuz entleert.... Da wird sein Name mißbraucht, um das deutsche Wesen über alles andere Menschentum zu erhöhen. Während es im Christentum doch um ganz andere Dinge geht. Das Herz des hochgewachsenen blonden Germanen ist dasselbe trotzige und verzagte Ding, wie das des Juden, Afrikaners oder Hindu und findet nur Vergebung und Erneuerung durch Christi Kreuz.“

Aus dieser Erkenntnis heraus, schließt er sich der „Bekennenden Kirche“ an. In dem Leiter der Landeskirchlichen Gemeinschaft Altenkirchen findet er einen treuen Mitstreiter. Gemeinsam versuchen sie, eine „Bekennende Gemeinde“ in Altenkirchen zu gründen. Es wird vereitelt, eine von ihnen organisierte Großveranstaltung in der damaligen Stadthalle wird 5 Minuten vor Beginn verboten und aufgelöst. Interessierte Gemeindeglieder nehmen fortan an Veranstaltungen der Bekennenden Kirche in Hamm teil und fahren sogar bis Siegen, um die letzte Rede von Karl Barth zu hören, die dieser dort hält, bevor er in die Schweiz abgeschoben wird.

In diesen ersten Jahren des „3.Reiches“ gab es für Pfarrer Maas, wie auch für den Leiter der Landeskirchlichen Gemeinschaft, viele Schwierigkeiten, Bespitzelungen, Verhöre in Koblenz - auch mit Gewaltanwendung. Dies alles bezog sich auf ihre klare Stellung zur „Bekennenden Kirche“. Die Nachstellungen, Demütigungen und Verfolgungen aus „rassischen“ Gründen steigerten sich für Pfarrer Maas in der Zeit nach der Pogromnacht. Frau Maas wird nahegelegt, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen. Ein Parteigenosse teilt Pfarrer Maas schriftlich seinen Kirchenaustritt mit, mit der Begründung: „Als Antisemit ist es mir unmöglich, bei Sie in die Kirche zu gehen.“ Nachts wird er angerufen und zu einem Sterbenden in ein Dorf gerufen, als er zu Fuß dort ankommt, stellt es sich heraus, daß es wieder einmal Schikane war. Auf seinen Wegen durch die Gemeinde wird er mit Steinen beworfen und beschimpft.

Im Kirchlichen Unterricht ärgern ihn die Kinder und lernen ihre Aufgaben nicht und er hat keine Möglichkeit, sich durchzusetzen.Als er einen Konfirmanden, der 1/4 Stunde zu spät kommt, zur Pünktlichkeit mahnt, verläßt der Junge den Raum mit der Bemerkung: „Sie Jud, ich hole meinen Vater.“ Als dieser kommt, gibt der dem Pfarrer vor allen Kindern eine Ohrfeige mit entsprechenden Beschimpfungen. Man setzt ihm so zu, daß er oft nicht in der Lage ist, den Gottesdienst zu halten und einen befreundeten emeritierten Theologen bittet, ihn zu vertreten.

In seinem Pfarrhaus werden Fenster eingeworfen, einmal sogar ein Brand gelegt, der sein Arbeitszimmer verwüstet. Kurze Zeit vor seinem Tod wird ihm ein Kranz ins Haus geschickt zu seiner eigenen Beerdigung!
Bei einigen guten Freunden hat er sich oft ausgesprochen, aber wie können sie ihm helfen und ihn bewahren vor den Anfeindungen?

III.

Zu Beginn der Passionszeit 1943 bereitet Pfarrer Maas eine Predigt vor, die etwas von der Schwere seiner Not ahnen läßt und die zeigt, daß er seine ganze Hoffnung allein auf Gott setzt. Er schreibt: „Christus ist unser Friede, wenn die Sünde uns verklagt, er ist unser Trost, wenn die Schwachheit des Fleisches uns zu Fall bringt, er ist unsere Zuflucht, wenn die Anfechtung uns jagt, und unsere Seligkeit, wenn es mitten hineingeht in die Angst des Todes.“ Und schließt mit den Sätzen: „Je mehr wir an diesem kostbaren Heil Teil gewinnen, umso mehr werden wir auch Kraft gewinnen, dem Herrn das Kreuz nachzutragen. Sind wir auch so voll Not, daß wir das Loben verlernt haben, laßt uns unter das Kreuz des Herrn treten, daß er unsere Entsagung heilige, daß sie nicht ein tiefer Schmerz sei, sondern wir je länger je mehr hineinwachsen in diese Gemeinschaft,die uns alles ersetzen kann.“

Pfarrer Maas hat diese Predigt nicht mehr halten können, denn an diesem Sonntag trug ihn die Gemeinde zu Grabe. An dem Mittwoch davor kamen nachmittags die Konfirmanden zum Unterricht und hörten: „Ihr habt heute keinen Unterricht, Pfarrer Maas ist tot!“ Was war geschehen? Am Abend vorher war er noch bei einer Familie in der Gemeinde. In der Nacht kämpften sein Arzt und seine Frau vergeblich um sein Leben.

Zur Todesursache gibt es verschiedene Versionen. Sie reichen von Schlaganfall bis Autounfall. „Ich habe immer nur gehört, mein Großvater sei von einem Lastwagen angefahren worden“, so der Enkel. Was auch geschehen sein mag, viele Gemeindeglieder waren über den plötzlichen Tod ihres Pfarrers tief erschüttert und haben ihm, dem sie zu Lebzeiten nicht helfen konnten, durch die große Beteiligung bei der Beerdigung - allen Drohungen der NS-Partei zum Trotz - ihre Liebe und Dankbarkeit bewiesen. Zwei Konfirmanden trugen einen großen Kranz auf dem ganzen Wege von der Kirche bis zum Waldfriedhof, und auch viele katholische Christen haben sich bewußt dem Trauerzug angeschlossen.

Angesichts dieser großen Demonstration für einen verfolgten Mitbürger hat der Stadtrat der Stadt Altenkirchen - nachdem ihm von verschiedenen Seiten der Leidensweg von Pfarrer Maas zur Kenntnis gebracht worden war - 1986 beschlossen, die Grabstätte von Pfarrer Maas aus geschichtlichen Gründen und aus öffentlichem Interesse weiter zu erhalten.

Hildegard Ottweiler

Quellen:
Informationen der Familie Maas
Aussagen vieler Zeitzeugen
Pfarrer Hans Fritzsche:" Kirche im Dritten Reich. Ein Bericht vom Kirchenkampf im Kirchenkreis Altenkirchen (Westerwald)" Erschienen in: Günther van Norden (Hg): „Zwischen, Bekenntnis und Anpassung“. Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 84.